Herr Professor Blechschmidt wir haben uns, für unsere Medienfachtagung, für das Thema Online Marketing entschieden, da Online Marketing sich in den letzten Jahren extrem schnell entwickelt hat. Würden Sie dem zustimmen und denken Sie, dass die Entwicklungen in diesem Bereich weiterhin so rasant voranschreiten werden?
Ja, wenn man sich die Branche anschaut, hat sie in den letzten Jahren ein enormes Wachstum hingelegt. Ein guter Indikator sind z.B. die Besucher auf der Dmexco in Köln (eine der größten Fachmessen für die digitale Industrie in Europa). 2009 besuchten rund 14.000 Personen die Messe, 2016 waren es bereits über 50.000. Dies ist nur ein Indikator dafür, dass das Thema Online Marketing in (deutschen) Unternehmen an Relevanz stark zugenommen hat. Auch zukünftig wird sich der Bereich auf jeden Fall deutlich und auch rasant weiterentwickeln. Allerdings denke ich, dass „klassisches Marketing“ und der Online-Bereich immer stärker konvergieren. Nachdem die „Offliner“ den Online-Bereich für sich entdeckt haben, sieht man gerade genau den umgekehrten Weg. Immer mehr Online-Unternehmen beschäftigen sich mit Print, Plakat und Direct-Mailings. Vielleicht wird irgendwann sogar der Begriff „Online-Marketing“ wegfallen und es wird wieder nur noch von Marketing gesprochen, wobei der Umgang mit den Online-Kanälen integraler Bestandteil des Marketings sein wird.
Virales Marketing scheint eine große Herausforderung für viele Unternehmen darzustellen, da es nicht wirklich möglich ist, den viralen Erfolg einer Kampagne zu garantieren. Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren für erfolgreiches Virales Marketing?
Wenn ich die wirklich kennen würde, wäre ich ein reicher Mann, da natürlich jedes Unternehmen Interesse an einer hohen Reichweite zu geringen Verteilungskosten hat.
Generell sind hier aber auch klassische Skills der Marketing-Kommunikation gefragt. Man sollte ein sehr gutes Verständnis der Zielgruppe haben, um relevante Botschaften, passend zur Identität der Marke, zu kreieren. Diese sollten einerseits stark aktivieren, z.B. durch Humor oder einem Wow-Erlebnis, um wahrgenommen zu werden und andererseits natürlich so gestaltet sein, dass ich als Rezipient im Teilen der Botschaft einen Benefit für mich sehe. Ich freue mich deshalb sehr auf den Beitrag von Felix Beilharz auf der diesjährigen Medienfachtagung zum Thema virales Marketing.
Welche Herausforderungen stellt Content Marketing an die Werbetreibenden?
Vor allem für die „Online Player“, die stark aus einer SEO (Suchmaschinenoptimierung) Welt kommen, ist Content Marketing eine spannende und junge Disziplin. Vor wenigen Jahren konnte man Content nach produktspezifischen Informationen, Editorial und eben suchmaschinenoptimiertem Content trennen. Letzterer war meistens aus Empfängerperspektive kaum noch sinnvoll verwertbar, da die Inhalte so konzipiert waren, dass Suchmaschinen diesen Content als relevant bewerteten. Seit die Google Algorithmen immer stärker die Qualität der Inhalte bei Ihrem Ranking berücksichtigen und immer stärker die Relevanz aus menschlicher und nicht maschineller Perspektive beurteilen können, funktioniert die SEO-Welt nicht mehr wie früher und redaktionelle, kundenrelevante Inhalte rücken immer stärker in den Fokus der Online Marketeers. Da Online-Marketing stark datengetrieben ist, stellt die Erfolgsmessung von Content-Marketing die Praxis vor neue Herausforderungen. Zudem gibt es Verschiebungen in den Mitarbeiteranforderungen von eher technisch ausgebildeten Mitarbeitern hin zu Allroundern, die sich sowohl mit Marketing-Fragestellungen auskennen, als auch über journalistische Qualitäten verfügen. Also genau die Fähigkeiten, die wir im Bereich Medien an der Ostfalia ausbilden.
Wie sieht das Data-Driven Marketing der Zukunft aus? Besteht die Gefahr, durch das eifrige Sammeln der Daten, den Blick für das eigentliche Ziel einer Kampagne zu verlieren?
Viele Unternehmen schöpfen die Potenziale eines datengetriebenen Marketings heute noch nicht voll aus. Dies liegt häufig an Datensilos, die nicht miteinander verbunden sind, so dass kein gesamtheitlicher Blick auf Kunden- und Kampagnendaten gegeben ist. Andererseits scheuen Verantwortliche den Integrationsaufwand. Dies lieg daran, dass Projekte zur Datenintegration häufig zu groß gedacht werden: viele Abteilungen, unterschiedliche Verantwortlichkeiten und am Ende kein kompromissfähiger Konsens. Anstelle nach der absoluten Wahrheit und der vollständigen Datenintegration zu suchen, ist es wichtig einfach mal anzufangen und „zu machen“. Selbst wenn die Datenwelt dann noch nicht perfekt integriert ist, führen erste zielgerichtete Projekte schnell zu einem deutlichen Erkenntnisgewinn und zu einer fundamental besseren Steuerung des Marketings. Nur wenn man nicht zielgerichtete, nicht handlungsgeleitet und nicht hypothesengestützt seine Daten analysiert und zusammenführt, besteht die berechtigte Sorge, dass Data-Driven Marketing eine Gefahr und keine Chance ist.
Programmatic Advertising hat sich im Online Marketing etabliert. Was können wir von diesem Trend noch erwarten und wird er auch auf andere Kanäle übergreifen?
Ich glaube, dass Programmatic Advertising, also der vollautomatisierte Ein- und Verkauf von Werbeflächen sowie das zielgruppenspezifische Ausspielen von individuellen Werbebotschaften auf Basis von Nutzerdaten, sich in der Praxis noch in den Kinderschuhen befindet. Häufig wird fälschlicherweise von Programmatic gesprochen, obwohl eigentlich Realtime Bidding gemeint ist (nur der Vermarktungsmechanismus und nicht die individuelle Botschaftsgestaltung). Erst wenn ein Verständnis von Data-Driven Marketing in einem Unternehmen angekommen ist und wenn ein klares Bild über die Zusammenhänge zwischen den Nutzer(daten) und zielführenden Botschaften gezeichnet werden kann, entfaltet PA seine volle Wirkung.
Bietet Crowdsourcing Ihrer Meinung nach mehr Chancen oder Risiken?
Bei klaren Zielen und einer Strategie auf jeden Fall mehr Chancen. Es kommt immer drauf an, was ich wirklich erreichen möchte und wie die Crowd gesteuert wird. Ein Maschinenbauunternehmen, dass z.B. Produktinnovationen für seine Fräsmaschine zusammen mit seinen Kunden entwickeln möchte, muss diesen maximalen Freiraum bei der Produktgestaltung geben, damit echte Innovationen möglich sind. Ist man auf der anderen Seite auf Consumer Märkten unterwegs, dann sollten Innovationen nur innerhalb gelenkter Bahnen zugelassen werden. Ein gutes Beispiel ist die Ritter Sport Einhorn Schokolade. Auf der Ritter Sport Seite Sortenkreation.de, können viele unterschiedliche Sorten kreiert werden, aber eben nicht alle. So kann sich ein Unternehmen davor schützen, dass z.B. eine Schokolade mit Senf- und Lachsfüllung auf einmal ein Social Media Hit wird und man dann unter Zugzwang steht, entweder so ein Produkt zu produzieren oder aber in Ungnade bei seinen Co-Kreatoren zu fallen.
Für wie wichtig empfinden Sie die Wahrung des Datenschutzes? Wird er den Innovationen des Online Marketings mehr und mehr weichen müssen?
Dazu schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits habe ich viele Jahre Online Marketing in der Praxis verantwortet und bin immer mal wieder an Grenzen durch den Datenschutz gestoßen. Anderseits bin ich Nutzer und Konsument, der gerne den Umgang mit seinen Daten durch Gesetze und Regeln gelenkt sehen möchte. Ich denke nicht, dass der Datenschutz dem Online Marketing weichen muss oder sollte. Ganz im Gegenteil. Je mehr Daten verarbeitet und gespeichert werden, desto wichtiger wird ein klar geregelter Umgang. Es sollte nur klar sein, dass die Festlegung und vor allem die Umsetzung von Rechtsnormen mindestens auf europäischer Ebene geklärt sein müssen. Meine subjektive Wahrnehmung war bisher, dass es durchaus Spielraum in deren Auslegung auf Landesebene gibt. Wettbewerbsverzerrung und Vorteile für Unternehmen, die einen Briefkasten in einem Land mit weniger reglementierten Datenschutzgesetzen haben, müssen aber auf jeden Fall unterbunden werden.
Vielen Dank für diesen kurzen Einblick in die Welt des Online Marketing. Nun noch kurz zu Ihnen:
Können Sie uns erzählen, wie Ihr Weg, Sie an die Ostfalia geführt hat und womit Sie sich vorher beschäftigt haben?
Mir war eigentlich schon während der Promotion in Münster klar, dass ich gerne irgendwann an die Hochschule zurück möchte. Am Lehrstuhl meines Doktorvaters, Prof. Backhaus, haben wir immer Lehre als wichtigste Aufgabe angesehen, gefolgt von einer durch praxisrelevante Fragestellungen geprägten Forschung sowie einer engen Verzahnung mit der Praxis. Da mir dies riesen Spaß gemacht hat, wollte ich das auch gerne zukünftig machen. Allerdings war mir klar, dass die heutige Universitätslandschaft die Schwerpunkte etwas anders setzt und dieses Modell vor allem zur Fachhochschule passt, weshalb ich erstmal von der Hochschule in die Praxis gegangen bin. Nach Beratung und CRM im Maschinenbau war meine letzte und längste Station vor der Ostfalia ein Berliner Start Up, bei dem ich über mehrere Jahre in verschiedenen Positionen im Online Marketing und Business Intelligence-Bereich gearbeitet habe. Zuletzt war ich als Chief Customer Officer für die Themen CRM, Marketing und Kundenservice verantwortlich und habe mit einem Team von ca. 100 Mitarbeitern diese Themen bearbeitet.
Sie sind an der Ostfalia Professor für Online Marketing. Was denken Sie, wie die Hochschule und unsere Studierenden davon profitieren können?
In der Hochschullandschaft entstehen erst nach und nach Professuren, die sich mit dem Thema Online-Marketing dezidiert beschäftigen und dies in der Lehre vermitteln. Auf der anderen Seite ist die Nachfrage nach Mitarbeitern, die eine Ausbildung im Bereich Online-Marketing mitbringen extrem hoch. Wir hatten mit ein paar Berliner Start Ups vor ein paar Jahren überlegt, ob wir nicht selbst eine Hochschule für Online Marketing gründen sollten, um qualifizierte Mitarbeiter auszubilden. Ich denke, dass ich nun an der Ostfalia meinen Beitrag leisten kann, um super ausgebildete, junge Studierende auf den Arbeitsmarkt zu entlassen, die Aufgaben im Online Marketing sehr schnell übernehmen können. Zudem hoffe ich, durch gute Praxiskontakte immer wieder neue und relevante Fragestellungen sowohl in der Lehre als auch in der Forschung einbringen zu können.
Nun zur letzten Frage. Der Titel der Medienfachtagung ist „Online MarketinG – What’s next?“ Was denken Sie, wie die Zukunft des Online Marketings aussieht?
Kurz und knapp: Super!
Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Boris Blechschmidt für dieses sehr informative Interview und freuen uns, dass er uns am 9. Dezember in das Thema Online Marketing einleiten und an der Diskussionsrunde teilnehmen wird.